Ich bin Fan oder Anhimmeln wird Kunst

Ausstellung: 13. März – 29. April 2005
Galerie Jung-Dörr, Illingen

Text von Dr. Barbara Weyandt

In der heute eröffneten Ausstellung O.W. Himmel – Ich bin Fan, werden die druckgraphischen Werke des 1967 in Ludwigshafen geborenen Künstlers O.W. Himmel präsentiert. Dabei kristallisieren sich schnell drei große, inhaltlich relevante Werkgruppen heraus, auf die ich im Folgenden anhand ausgewählter Beispiele eingehen werde: die Poster mit den Konterfeis von Musikern aus der Country- bzw. Popszene, die Porträts von Familienmitgliedern und schließlich die Linoldruckserie der Bananenlogos.

Was auf den ersten Blick womöglich inhomogen anmutet, Sänger, Kinder und Bananen, um es salopp zu formulieren, gehört doch in einen großen Zusammenhang, der sich aus dem Titel der Ausstellung ergibt: Ich bin Fan.

Fan: das ist einer, der sich für etwas oder jemanden begeistert. Als Fan bekennt man sich und Himmels ‚Fantum’ ist die Klammer für seine heterogenen Themen. Bei seinen Klassikern, der Werkgruppe der Musiker, ist das Fan -Sein gesellschaftlich absolut akzeptiert, wird doch das Wort ‚Fan’ in den allermeisten Fällen im Bereich von Musik und Sport benutzt. Hier konfrontiert Himmel uns mit seinen ‚Säulenheiligen’: Johnny Cash, Hank Williams, Kurt Wagner, aber auch Stevie Wonder.

Als künstlerisches Verfahren entscheidet O. W. Himmel sich für den Linoldruck und gestaltet damit plakative Poster, die jeweils nur den Kopf des Porträtierten zeigen und mit einer zumeist hintersinnigen Bildunterschrift in Großbuchstaben versehen sind. Die Drucke gibt es in begrenzter Auflage jeweils in mehreren Farben und auf unterschiedlichen Bildträgern, z.B. auf Chromo-Lux-Karton. Als Beispiel möchte ich ein Exemplar von ‚Ich will Cash’ herausgreifen. Als Vorlage dient ein Foto, das den Country- und Protestsänger in leichter Untersicht und mit von starken Schlagschatten gewissermaßen dramatisierten Gesicht zeigt. Die markanten Gesichtszüge setzt Himmel in ein wirkungsvolles Spiel der Positiv- und Negativformen um, wofür die dem Holzschnitt verwandte Technik des Linoldrucks prädestiniert ist, lebt sie doch aus der Arbeit mit klaren Linien und prägnanten Kontrasten. So erzeugt Himmel trotz großer formaler Vereinfachung unter Wahrung der Porträttreue eine höchst eindringliche Aussage. Die Aura von Entschlossenheit und Geradlinigkeit, die das Image von Cash nachhaltig prägte, wird spürbar. Wer Himmel kennt, dem wird die Doppeldeutigkeit des Untertitels nicht entgehen. Sie spricht einerseits für seinen Status als Fan, andererseits für den (Überlebens-)Künstler, der stets auf der Suche nach lukrativen Vermarktungsstrategien ist.1‚Cash’ bezeichnet hier eben nicht nur den bewunderten Star, sondern auch ganz prosaisch ‚Bargeld’. So nimmt Himmel sein Idol auch in seine eigenen Dienste. Nur kurz hinweisen möchte ich auf das ebenfalls als Poster gestaltete Blatt mit ‚Stevie Wonder’, der zu den Superstars der Rock- und Popmusik gehört und darüber hinaus als aktiver Bürgerrechtler in Erscheinung getreten ist. Letzteres verbindet ihn auch mit Johnny Cash. Sowohl Cash als auch Wonder sind demnach im Wortsinn wahrhaft kritische Stimmen, die Missstände anprangern und sich der Vereinnahmung durch das Establishment widersetzten. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Darstellung auf Postern eine besondere Plausibilität. Ist doch gerade das Plakat seit seinen Anfängen immer auch zur politischen Meinungsbildung eingesetzt worden und damit ein wichtiges Medium des Protests. Eine stille Pointe am Stevie Wonder-Poster ist die Verwendung von Papier mit Blindenschrift, was unaufdringlich auf die Blindheit des Stars hinweist.

Ein ganz anderer Themenbereich eröffnet sich mit den großformatigen Porträts der Familienmitglieder. Hier outet sich O.W. Himmel als Fan seiner Familie. Im großen Format gestaltete er bislang Bildnisse seiner Tochter Pola und des Sohnes Linus. Es ist jedoch geplant, diese Serie in der kommenden Zeit um den verbleibenden Teil der Familie zu erweitern. Ist schon der Rückgriff auf die Ganzfigur außergewöhnlich, so stellt auch die Wahl der Technik eine Besonderheit dar. Wie schon in den Country- Postern arbeitet Himmel auch hier mit dem Linoldruck. Dazu einige Worte: die meisten von den hier Anwesenden haben sicherlich mit dem Linoldruck eigene Erfahrungen gemacht, höchstwahrscheinlich während ihrer Schulzeit, wenn man an kleinen Linolplatten herumschabte. Womöglich aus dieser Zeit haben sich einige zähe Vorurteile über diese Technik erhalten: sie wirkt eben immer ein bisschen didaktisch-altbacken und riecht nach Schulmuff und eher unkreativer Quälerei. Das ist ungerecht, hat sich doch auch ein Künstler wie Pablo Picasso mit dem Linoldruck auseinandergesetzt. Himmel entscheidet sich ganz bewusst für den kleinen ‚Stiefbruder’ des erhabenen Holzdruckes- gerade wegen seines etwas antiakademischen Beigeschmack. Dieser Gestus des Protests hat seine Wurzeln im musikalischen Background des Künstlers- Punkszene und Hinwendung zur Countrymusic seien hier nur die Stichworte- und damit eng zusammenhängend in seiner Herkunft aus der Straßenkunst, die ihn zu der Arbeit mit Schablonengraffitis, den sog. Pochoirs führt. Während im Allgemeinen die Graffiti freihändig gesprüht werden, ist das Pochoir eine Schablonenarbeit, bei der die Farbe entweder mit Pinsel, Schwamm oder auch Dose aufgetragen werden kann. Dieser Methode bleibt Himmel in den Bildnissen seiner Kinder treu: Er setzt die Schablonentechnik auch bei der Herstellung des Linoldrucks ein, was für den plakativen Charakter dieser Werke mitverantwortlich ist. Als Beispiel greife ich hier das Porträt seiner Tochter Pola auf. Himmel stellt sich damit in die lange Tradition der Kinderbildnisse ein, wenngleich es zunächst vielleicht ein wenig ungewöhnlich anmutet, unter dem Motto ‚Ich bin Fan’ die eigenen Kinder zum Sujet zu wählen. Kann man der Fan seiner Kinder sein? O.W. Himmel gibt die nachdrückliche Antwort mit seinen Linoldrucken. Versteht man den Fan als jemanden, der sich ausdrücklich und ohne Abstriche zu etwas bekennt, dann ist es gerade dieses ‚Bekenntnishafte’, das in den Kinderbildnissen mitschwingt. Seine Tochter Pola gibt Himmel im hochrechteckigen Großformat. Bereits die Ausmaße des Bildes fordern Aufmerksamkeit. Die Größe darf man hier im Sinne eines ‚Bedeutungsmassstabes’ interpretieren. Himmel gibt uns damit zu verstehen, welche Wichtigkeit dem Mädchen zukommt. Die starke Präsenz des Kindes erreicht er einerseits dadurch, dass Pola die Bildfläche nahezu komplett ausfüllt und ihre Darstellung in der vordersten Bildebene liegt. Sie kommt dem Betrachter dadurch nahe und zeigt ihren Anspruch, wahrgenommen zu werden. Die starke Betonung der Vertikalen tut ein Übriges: im senkrechten Aufragen ist immer auch der Aspekt des sich Behauptens mitangelegt. Andererseits unterstreicht auch die kontrastreiche, kraftvolle Wiedergabe in Hell- und Dunkel den Ausdruck von Vitalität. Der floral gemusterte Mantel des Kindes erweckt den Eindruck überbordender Energie. Himmel setzt hier grundsätzliche Merkmale des Kindseins ins Bild: die Lebhaftigkeit und ihre fordernde Präsenz und neudeutsch gesprochen: ihre oft überwältigende Power. Er entwirft damit ein wirklich modernes Kinderbild: Jenseits vom Klischee des Niedlichen und den Ansprüchen des Repräsentativen nimmt er seine Kinder als selbstbewusste Persönlichkeiten – aber immer noch als Kinder wahr – und damit ernst. Ähnliche Autonomie strahlt auch das Bildnis von Linus aus, auf das ich hier nur verweise. Man darf auf die nächsten Bildnisse gespannt sein.

Vergegenwärtigt man sich an dieser Stelle noch einmal die künstlerischen Wurzeln O.W. Himmels in der Graffiti-Szene, dann eröffnet sich eine weitere interessante Interpretationsperspektive: Nutzen die zumeist jugendlichen Sprayer ihre Inschriften bzw. pieces oft auch zur Markierung ihrer Reviere, der turfs, so bleibt Himmel dieser Vorgehensweise treu: auch er steckt mit seiner Schablonenkunst die lebensweltlichen Bezirke ab, die ihm wesentlich erscheinen und bekennt sich als Fan zu Country und Familie, worin wir einen fernen Nachhall der frühen Aktivitäten innerhalb der Straßenkunst erkennen können.

Dass die Faktizität des Familienlebens auch ihren Tribut fordert, verrät Himmel scheinbar en passant in einem kleinen Prägedruck: Auf edelstem weißen Büttenpapier prangt der kalligraphisch geschwungene Schriftzug: Ruhe. Nichts sonst. Dabei verzichtet Himmel hier auf jeglichen lauten Kontrast, sondern belässt das Blatt in seinem ‚ruhigen’ unfarbigen Grundton. Lediglich das Wort ‚Ruhe‘ hebt sich zart und leise in schwachem Relief von der Bildfläche ab und wirkt mehr geflüstert als gedruckt. Die Bitte um Ruhe bleibt damit ein eher zurückhaltender Appell. Auch die Wahl des Materials sagt einiges über den Bildsinn. Greift Himmel ansonsten oft auf das zurück, was gerade vorhanden ist, verwendet er hier teuerstes Büttenpapier. Ruhe bekommt die Aura eines Sehnsuchtswortes und stellt den wahren Luxus für O.W. Himmel dar.

Abschließend möchte ich mich nun der aktuellsten Werkgruppe des Künstlers zuwenden, nämlich den Linoldrucken mit Adaptionen von Bananenfirmenlogos. Manche dieser Logos sind mittlerweile selbst bereits Klassiker und im kollektiven Gedächtnis der Verbraucher gespeichert, ich nenne hier nur ‚Chiquita’ und ‚Onkel Tuca’, denen ich mich dann im Folgenden noch ausführlicher widmen werde. Dennoch führen sie als kleine Bananenaufkleber eher ein Schattendasein. Jeder kennt sie und nimmt sie als etwas Marginales wahr. Hier greift nun Himmel, der sich auch als Bewahrer und Archivar versteht, ein. Er überträgt die ‚bescheidenen’ Logos ins Großformat, wodurch ihre Affinität zur Pop-Art und ihr unbestreitbarer ästhetischer Reiz offen zutage treten. Dem banalen Aufkleber verhilft Himmel zum Kunststatus. Mit dieser Vorgehensweise befindet er sich in bester Gesellschaft, ich nenne nur Andy Warhol oder auch Sigmar Polke, die beide auf ihre je eigene Art mit der entwaffnenden Banalität2 von Alltagsgegenständen arbeiten, sie entlarven oder ironisieren. Der wesentliche Unterschied daran: Himmel, der Archivar, wendet sich zwar auch den trivialen Dingen zu, nimmt sie jedoch ernst.

Doch warum gerade Bananenlogos? Himmel selbst weist auf die Tatsache hin, dass er sein Arbeitsmaterial ‚Bücher‘ zumeist in großen, mit Logos geschmückten Bananenkisten aufbewahrt und sieht dies als Auslöser für seine Arbeit mit den Logos. Das klingt vordergründig plausibel, unterschlägt jedoch eine entscheidende Facette in Himmels Oeuvre, der bislang nicht die nötige Aufmerksamkeit gezollt wurde. Wie ein roter Faden zieht sich jenseits von Archivierungsanspruch und ‚Fantum’ die Auseinandersetzung mit Fragen nach Identität und Wiedererkennbarkeit durch sein Schaffen. Das wird ganz offensichtlich, wenn man sich den beiden zuvor betrachteten Gruppen zuwendet: Sie zeigen Bildnisse, mal als Porträts, mal als Ganzfigur, aber immer ist es ihr Ziel, die abgebildeten Personen in ihrer Individualität und Unverwechselbarkeit zu zeigen. Das Individuelle ist aber nur darstellbar, wenn zugleich auch die Abgrenzung von der Masse verfolgt. Und genau dieses Generalthema schlägt Himmel auch mit den Logos wieder an: sie stehen im Dienste von Produktidentität und Firmenimages. So gesehen sind die Logos die ‚Gesichter’ einer Marke. Dieses Streben nach Selbstdarstellung hat in dem Schlagwort der ‚corporate identity’ ihren sprachlichen Ausdruck erhalten. Die Logos prägen das Erscheinungsbild der Firma in der Öffentlichkeit und dienen der Abgrenzung von der Konkurrenz in ähnlichen Marktsegmenten und letztlich damit der Kundenbindung. Dem Konsumenten bieten sie durch ihren hohen Erkennungswert ein Gefühl von Vertrautheit und die Sicherheit, zur ‚richtigen’ Marke zu greifen.

Im Falle der hier gezeigten Bananen-Logos heißt dies, dass klare Farben und übersichtlicher Bildaufbau der raschen Erfassbarkeit und Unterscheidbarkeit dienen und die Wiedererkennbarkeit garantieren. Was diese formalen Vorgaben der Vorbilder betrifft, so folgt Himmel ihnen weitgehend. Die Motive der beiden Logos bedienen firmenübergreifend gewisse Klischees über die Erzeugerländer: Bei dem Signet der Chiquita Banane, wohl der prominentesten Vertreterin ihrer Art, rahmen Bananenbündel ein zentral angebrachtes Schild, das den Schriftzug Chiquita trägt und durch die kürzelhafte Darstellung einer Frau in Landestracht und Tanzpose ergänzt wird: Miss Chiquita. Nach den Gesetzen der Werbung ist der Markennamen gut lesbar im Zentrum dieses Emblems angebracht. Bei ‚Onkel Tuca’ wird zusätzlich Authentizität durch den spanischen Schriftzug ‚Bananas Originales’ vorgegaukelt wie auch die familiäre Bezeichnung des heiteren Einheimischen als ‚Onkel Tuca’ als vertrauensbildende und damit absatzsteigernde Maßnahme verstanden werden darf. Hinter ihm ergänzt der rote Glutball der Sonne und eine zeichenhaft verkürzte Darstellung einer Palme die knappe fremdländische Szenerie. In beiden Fällen wird mit Bildern von Exotik und mehr oder weniger latentem Sexismus, gespielt und um den Käufer geworben. Die klaren Farben Blau-Gelb und Rot-Grün-Gelb der hier gezeigten Beispiele stehen für das Unverfälschte und Unkomplizierte der Herkunftsländer und erhalten jeweils durch Weiß eine Art ‚Frischekick’, was bei dem angepriesenen Produkt nicht unwesentlich ist. Die Logos transportieren also in aller Kürze eine Botschaft. Nicht zuletzt ihretwegen wird man zum Käufer. Hier schließt sich nun der Kreis: denn auch für Waren- bzw. Produkte kann man Fan werden, zuweilen unabhängig davon, ob die beschworenen Eigenschaften nun existieren oder nur suggeriert werden. Im Extremfall findet die Ich- Definition sogar über Marken statt, womit das weite Feld von Identität und Persönlichkeit angeschnitten wird. Intuitiv hat Himmel damit wieder ein Thema aufgegriffen, das sich wie bereits die Bildnisse, der Auslotung einer Selbstbeziehung widmet. Sowohl im Archivierungsgedanken als auch in der Bildniskunst scheint letztendlich ein gemeinsames Anliegen auf, ihr Versuch, sich gegen das Vergessen und damit gegen die Zeit zu stemmen. ‚…denn selbstverständlich, fast banal scheint es zu sein, dass Bildnisse ihre Helden überliefern, gegen den Strom der Zeit gegenwärtig halten.3

1 Auch der Titel ‚Sie will Hank’ spielt mit Insider-Wissen, da die Frau des Künstlers einen anderen Vertreter des Country-Genres –eben Hank Williams- bevorzugt.

2 Von der ‚entwaffnenden Banalität’ der Alltagsobjekte spricht Klaus Honnef in einem Beitrag über Sigmar Polke. Klaus Honnef: Sigmar Polke. In: Kunst in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1985, Ausstellungskatalog, Berlin 1985, S. 253-258, Zitat S. 256.

3 Zitiert nach Gottfried Böhm: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985. Zitat S. 11.